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Am Rathaus
45468 Mülheim an der Ruhr

Kettenbrücke

1844 wird der schlesische Weberaufstand in zwei Tagen blutig niedergeschlagen, Charles Goodyear erhält ein Patent auf die Vulkanisation von Gummi, der Brenner zwischen Innsbruck und Schönberg im Stubaital wird nach achtjähriger Bauzeit für den Verkehr freigegeben, der erste Zoologische Garten Deutschlands wird in Berlin eröffnet, in China ist das Jahr des Holz-Drachens und in Mülheim wird am 13. November nach zwei Jahren Bauzeit die Kettenbrücke über die Ruhr eröffnet. Sie wird über Jahrzehnte das Wahrzeichen der Stadt Mülheim sein.

Bild einer KettenbrückeKettenbrücke

Ganz im Gegensatz zum Bogenbrückenbau ist der Bau von Hängebrücken in Deutschland nie richtig zur Blüte gekommen. Die Kettenbrücke ist eine Bauform der Hängebrücke, bei der statt Drahtseilen Ketten zur Anwendung kommen, um die Last zu tragen. Hängebrücken sind – abgesehen von den Fußgängerbrücken aus natürlichen Materialien – ursprünglich fast immer Kettenbrücken, weil geschlagene Drahtseile erst 1834 erfunden werden und Eisen sowie insbesondere Draht anfänglich noch nicht in so gleichbleibender Qualität hergestellt werden können, sodass man Paralleldrahtseile im Brückenbau nur selten verwendet.

Bisher kommt man mit einer Fähre über die Ruhr, die jedoch zu diesem Zeitpunkt dem wachsenden Bedarf vor allem der Industrie nicht mehr gewachsen ist. Den Mülheimern ist sie als „Schollsche Fähre“ bekannt, die erstmals 1408 erwähnt wird. Mülheim verfügt Mitte des 19. Jahrhunderts über eine Vielzahl an aufstrebenden Industriezweigen und Zechen. Der Weg über die Ruhr ist der Weg ins niederbergische Gebiet und dieser Weg hat, abgesehen von der begrenzten Kapazität der Fähre, das Problem der Abhängigkeit vom Wetter, insbesondere vom Hochwasser. Dies kann dazu führen, dass je nach Lage die Ruhr tage- und manchmal auch wochenlang nicht, oder nur eingeschränkt, überquerbar ist.

1806 tritt der bayrische König Maximilian I Joseph die Rechte am Herzogtum Berg, zu dem dieses Gebiet gehört, an Napoléon Bonaparte ab. Dieser ist es auch, der zwei Jahre später, am 18. Februar des Jahres 1808, Mülheim die Stadtrechte verleiht. Das Gebiet steht unter französischer Herrschaft und ist dem Département Rhein zugeordnet; es umfasst die Siedlung Mülheim und das Gebiet der Herrschaften Broich und Styrum. Nach der Völkerschlacht von Leipzig wird die Gegend von Preußen annektiert und 1815 auf dem Wiener Kongress auch formell Preußen angegliedert. Mülheim hat zu diesem Zeitpunkt über 12.000 Einwohner und ist die größte Stadt im rheinisch-westfälischen-Industriegebiet. Kohle, Stahl und die strategische Lage machen Mülheim im Laufe der nächsten Jahre zu einer der wichtigsten Regionen.

In Mülheim laufen eine Vielzahl wichtiger und bedeutender Handelstraßen zusammen, die auch aus militärischer Sicht von strategischer Bedeutung sind. In Düsseldorf werden Pläne zum Bau einer Brücke bereits 1935 gemacht, scheitern jedoch zunächst an den Kosten. Von Anfang an ist deswegen bereits über eine Kettenbrücke nachgedacht worden, die zwar kostengünstiger ist, allerdings auch einige Nachteile mit sich bringt. Aufgrund ihrer Bauweise ist sie nicht so stabil wie eine Steinbrücke und kann bei starker Belastung erheblich ins Schwanken kommen, da die Fahrbahn der Kettenbrücke an Ketten und Hängestangen aufgehängt ist. Dies zeigt sich auch in Mülheim bereits 30 Jahre nach der Eröffnung; trotz der Beschränkung, nur 1.000 Menschen (!) auf einmal auf die Brücke zu lassen und eine Kompanie oder ein Bataillon nicht im Gleichschritt laufen zu lassen, ist das Bauwerk den gewachsenen Ansprüchen und Belastungen nicht mehr gewachsen und muss durch stählerne Träger verstärkt werden.

Bild einer KettenbrückeKettenbrücke

Bevor es jedoch soweit kommt, gibt es im Vorfeld eine Diskussion um die Finanzierung des Projektes. Trotz der geringeren Kosten für den Bau einer Kettenbrücke im Vergleich zur einer Stahl- oder massiven Steinbrücke wird das Bauwerk am Ende 79.000 Taler verschlingen. Ein Betrag, den Mülheim und auch Düsseldorf nicht bezahlen können. So dauert es bis zum Jahr 1838, bis die Finanzierung gesichert ist und die Bauarbeiten beginnen können. Der Preußische Staat hat zugesichert, die Baukosten zu übernehmen. Der Grundstein wird im August 1842 gelegt. Interessanterweise geschieht dies an dem Tag, als der letzte Baustein in das neue Rathaus eingefügt wird. Es steht an dem damals neu angelegten Rathausmarkt ,in der Mitte des heutigen Ratssaalflügels, und wird für 73 Jahre der Amtssitz künftiger Oberbürgermeister sein.

Gegenfinanzieren lässt sich ein solches Brückenbauwerk durch das sogenannte Brückengeld. Das ist ein für die Benutzung einer Brücke zu entrichtender Betrag, der zur damaligen Zeit üblich ist und häufig erhoben wird. Während der Diskussionen um die Übernahme der Kosten bietet ein Mülheimer Unternehmer an, die Brücke selber zu bezahlen. Dieser Mann ist den Mülheimern als „auler Mathes“ bekannt und ist ein Kind unserer Stadt. Er wird 1790 in der Herrschaft Broich geboren und baut im Laufe seines Lebens ein Unternehmen auf, welches im Jahr 1924 – unter der Führung seines Enkels Hugo – mit 600.000 (!) Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Welt sein wird.

Mathias Stinnes besitzt zum Zeitpunkt der Planungen für den Bau der Kettenbrücke die größte Reederei zwischen Koblenz und Amsterdam. Er hat diese Flotte mit eigener Hand aufgebaut. Bereits mit 13 Jahren verlässt er die Volksschule und heuert an Bord einer Ruhraak an, um dort als Schiffsjunge und später als Schiffergehilfe im Kohlentransport zu arbeiten. Mit Unternehmerischer Weitsicht, dem richtigen Gespür für Menschen und neuen Ideen gelingt es diesem Mann, nach ein paar Jahren zu den größten Industriellen der Region zu werden.

Er möchte den Bau der Brücke gerne finanzieren, bzw. die Erlaubnis erhalten, die Brücke selber zu bauen und das Brückengeld zu erheben. Er weiß um die Bedeutung dieser Verbindung und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Der Betrag ist für ihn kein Problem; die Kosten für den Bau wird er in wenigen Jahren erwirtschaftet haben. Die Stadt Mülheim lehnt ab – das Brückengeld kann nun selber erhoben werden.

Dies alles geschieht unter der Ägide des Bürgermeisters Christian Weuste, nach dem eine Straße in Holthausen benannt ist. Er leitet die Geschicke der Stadt von 1822 bis 1846. Neben dem Bau der Kettenbrücke und des Rathauses zeichnet er sich mitverantwortlich für den Übergang Mülheims von einer dörflichen Gemeinde in eine industrielle Stadt. Ein wichtiges Anliegen von Bürgermeister Christian Weuste ist der Straßenbau. Die Eppinghofer Chaussee, ein besserer Feldweg, wird auf sein Betreiben hin zu einer repräsentativen Landstraße ausgebaut. Neben den Baumaßnahmen setzt Weuste Verbesserungen im Schulwesen durch und auch die Gründung der Stadtsparkasse (1842) ist auf sein Engagement zurückzuführen. Die Verbesserung der städtischen Infrastruktur macht sich auch in anderer Hinsicht bemerkbar: In den knapp 25 Jahren von Weustes Tätigkeit wächst die Stadt um 10.000 auf über 25.000 Einwohner.

Bild einer KettenbrückeKettenbrücke

Nach über 50 Jahren im Dienst und etlichen Verstärkungen und Verbesserungen hat die Kettenbrücke ausgedient. Sie kann die Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht mehr erfüllen. Am 7. Oktober 1909 wird sie das letzte mal mit einem Fackelzug feierlich überquert und anschließend stillgelegt. Sie weicht einem moderneren, breiteren und belastbareren Bauwerk, welches sich noch heute an dieser Stelle befindet. Unsere Schloßbrücke. Doch dies ist eine andere Geschichte ...

Quellen: