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Am Rathaus
45468 Mülheim an der Ruhr

Bergbau

Schökenbank, Cleflappen, Landerberg, Thiesgracht und Oberhäuersbänksgen. Wem diese Namen bekannt vorkommen, der hat sich sehr genau mit den Anfängen des Mülheimer Bergbaus beschäftigt. Dies alles sind Zechen, die neben vielen anderen Groß- und Kleinzechen einmal auf Mülheimer Stadtgebiet gestanden haben.

In der Anfangszeit der Kohleförderung teuft man noch keine Schächte ab, sondern bedient sich der Kohle, die in dieser hügeligen Gegend zu Tage tritt. Dort gräbt man der kohlenführenden Schicht entlang und legt den entstandenen Abraum an die Ränder der so entstandenen Gräben. Zur Entwässerung dienen Stollen, die man waagerecht in den Hang treibt. Auch nutzt man diese Stollen zur Kohlenförderung, wie z. B. den Broicher Erbstollen, der von den Sellerbeckgruben am Winkhauser Talweg bis zur Ruhr führt, oder den Hollenberg-Darmstadt-Stollen im Rumbachtal. Zu den frühen Bergwerken gehört zum Beispiel auch die Zeche Tutenbank in Fulerum ab 1565.

Zeche Wiesche/ Zechenbahnhof alte BrikettfabrikZeche Wiesche/ Zechenbahnhof alte Brikettfabrik

Ab Ende des 14. Jahrhunderts beginnt man, Schächte anzulegen und in der Tiefe seitliche Stollen vorzutreiben. Mitte des 15. Jahrhunderts erreichen sie im Mansfelder Erzbergbau bereits eine Teufe von über 200 Metern. Diese Schächte, meistens rund und einem Brunnen ähnlich, werden puetus (lat.: Brunnen) genannt. Daraus entsteht das heute noch geläufige „Pütt“.

Allerdings kämpft der Bergbau im Ruhrgebiet noch mit einem konkurrierenden Brennstoff, der sich bereits Jahrtausende etabliert und bewährt hat: Holz und Holzkohle. Die Zechen verkaufen die Kohlen meist nur in der nächsten Umgebung, bis 1542 die märkische Bergordnung erlassen wird. Bereits 33 Jahre zuvor wird dies im Erzgebirge gemacht und verhilft dem Abbau und Verkauf, dort allerdings beim Erz, zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Bergordnung besagt, dass jeder Schürfer sich nun auch außerhalb seines Grund und Bodens ein Abbaufeld verleihen lassen kann und somit ist der Grundstein für erste Großzechen gelegt.

Mit der zunehmenden Zahl der Fördermenge, der Vergrößerung der Gruben und die immer tiefere Gewinnung ergibt sich ein neues Problem. Das Grundwasser dringt in die Strecken und Flöze und behindert den Abbau sehr. Die Lösung sind Entwässerungsstollen, die um 1600 aufkommen.

Durch die zunehmende Zahl der transportierten Mengen stellt sich die Frage nach einem Transportweg für den Bedarf. Da viele Zechen an der Ruhr liegen, liegt es nahe, diesen Fluss auch genau dafür zu nutzen. Trotz technischer Schwierigkeiten und politischer Hürden wird die Ruhr zwischen 1777 und 1780 mit insgesamt 16 Schleusen schiffbar gemacht und dient fortan als Haupttransportweg der Kohle, wobei der untere Teil zwischen Witten und Ruhrort zu einem der meistbefahrenen Flussabschnitte der Welt wird.

Rosenblumendell/ WasserturmRosenblumendell/ Wasserturm

Die Erfindung der Dampfmaschine ist für den Bergbau revolutionär. Sie eröffnet zum einen die Möglichkeit, an Lagerstätten zu gelangen, die bisher aufgrund der Tiefe und baulichen Voraussetzungen nicht zu erschließen sind. Zum anderen ermöglicht die künstliche Wasserhaltung nun den Bau von Zechen an Orten, die über kein Gefälle im Gelände verfügen, um so das geförderte Wasser auf natürlichem Wege ablaufen zu lassen.

Die erste Dampfmaschine wird auf der Zeche Vollmond in Bochum von Franz Dinnendahl eingesetzt und binnen kurzer Zeit gehen viele andere ebenfalls auf den Betrieb über, um tiefere Flöze abbauen und entwässern zu können. Jener Franz Dinnendahl, geboren 1775 in Horst, heute zum Stadtgebiet Essen gehörend, ist es auch, der 1809 die Probleme in einem Schacht an der Ecke Klotzdelle/ Frohnhauser Weg, etwa 1.000 m westlich der späteren Zeche Rosenblumendelle mithilfe einer Wasserhaltungsdampfmaschine lösen will. Dies gelingt jedoch zunächst nicht und nach einem Wassereinbruch aus alten Grubenbauen wird die Zeche 1817 stillgelegt. Erst 1841 entsteht durch den Zusammenschluss der Kleinzechen Vorwärts, Morgenröthe, Blumendelle, Kämpgeswerk, Tutenbank und Zufall mit Roßdelle das Bergwerk „Vereinigte Rosenblumendelle“. Rosenblumendelle wird auch die letzte Zeche in Mülheim sein, die die Förderung einstellt. Am 29. Juli 1966 fördern die Kumpel den letzen Wagen Kohle aus 900 m Teufe zu Tage. Auf Rosenblumendelle werden seit der Entstehung über 46 Mio. Tonnen Kohle gefördert. An diesem Tag wird Mülheim die erste Stadt im Pott ohne Zeche.

Belegschaft Zeche WiescheBelegschaft Zeche Wiesche

Auch Franz Dinnendahls fünf Jahre jüngerer Bruder Johann, geboren 1780 ebenfalls in Horst, spielt in der Mülheimer Industriegeschichte eine wichtige Rolle.

Von 1800 bis zum Herbst 1811 arbeitet Johann bei seinem Bruder Franz in dessen Werkstatt in Essen. Danach macht Johann Dinnendahl sich selbstständig und errichtet eine mechanische Werkstatt in Mülheim an der Ruhr. In dieser Werkstatt werden Dampfmaschinen mit einer Leistung bis 40 PS hergestellt, deren Qualität weit über die Grenzen Mülheims hinaus geschätzt wird. Um die Abhängigkeit von ihren Eisenlieferanten zu beseitigen, beschließen sie, ihren beiden Werkstätten 1819 und 1820 jeweils eine Eisengießerei anzugliedern.

Johanns Pläne sehen daneben die Errichtung eines Kokskohlehochofens nach englischem Vorbild vor, doch dazu fehlt ihm zunächst das nötige Kapital. Gemeinsam mit dem Ruhrorter Kaufmann Friedrich Wilhelm Liebrecht als finanzkräftigem Partner beantragt er 1832 die Konzession für zwei Hochöfen mit Koksbetrieb. Einer davon soll neben der Eisenschmelze in Mülheim errichtet werden und wird in Anlehnung an Liebrechts Vornamen Friedrich-Wilhelms-Hütte genannt. Der zweite geplante Hochofen in Duisburg wird nie gebaut. 1848 geht der erste mit Kokskohle betriebene Hochofen im Ruhrgebiet dann in Mülheim an der Ruhr in Betrieb. Johann Dinnendahl zieht sich jedoch noch vor Inbetriebnahme des Hochofens aus Mülheim zurück und gründet in Minden eine Eisengießerei.

Blick auf die Friedrich-Wilhelms-Hütte von der anderen RuhrseiteBlick auf die Friedrich-Wilhelms-Hütte von der anderen Ruhrseite

Eng verbunden mit den Zechen sind die Kumpel und deren Familien. Um 1900 sind die Arbeitsbedingungen schlecht. Die Arbeit unter Tage findet unter Bedingungen statt, die den Körper extrem belasten. Die meisten Kumpel gelten mit 40 Jahren als „bergfertig“ und sind oft körperlich nicht mehr in der Lage, die schwere Arbeit in der Grube zu leisten. Anfangs des 20. Jahrhunderts werden Bergarbeiter im Ruhrrevier durchschnittlich nach 17 Berufsjahren im Alter von etwa 42 invalide. Neben den hohen Temperaturen bis zu 40 Grad kämpft der Bergmann unter Tage mit vielen Gefahren, die zu Tod oder Arbeitsunfähigkeit führen können. Die weitgehende Dunkelheit, die nach einigen Jahren bei vielen Arbeitern zu Augenzittern (Nystagmus) führt, die Feuchtigkeit, die Rheuma verursacht, die bekannte Staublunge (Silikose), die in jeglicher Position zu verrichtende Arbeit, die Muskeln, Sehnen, Knochen, Gelenke, Gefäße, Nerven und Organe aufs äußerste fordert und verschleißt und nicht zuletzt die Psychologie, hunderte von Metern im Berg gefangen zu sein. Hinzu kommt, dass der Lohn vom einfachen Hauer oft nicht ausreicht, um sich und seine Familie zu ernähren und er nach der Schicht noch seinen Garten bearbeiten muss. So kommt es nicht selten vor, dass der Bergmann für ein paar Groschen mehr pro Schicht kündigt und fortan auf einer anderen Zeche arbeitet.

Um unter diesen Arbeitsbedingungen und dem schlechten Lohn die Arbeiter auf den Hütten zu halten, beginnen die Bergwerksbesitzer Siedlungen für ihre Kumpel zu bauen.

1898 wird der Mülheimer Bergwerksverein gegründet, mit dem Ziel, die weniger ertragreichen Zechen zusammenzufassen und durch die Fusion ein großes, konkurrenzfähiges Unternehmen zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten im Ruhrbergbau etwa 230.000 Beschäftigte und fördern jedes Jahr 60 Millionen Tonnen Kohle zu Tage. Gründungsmitglieder sind August und sein jüngerer Bruder Joseph Thyssen, Hugo Stinnes, der bis zu seinem Tod 1924 als Vorsitzender des Aufsichtsrates tätig ist und der Mülheimer Bankier Leo Hanau. Der MBV (Mülheimer Bergwerksverein) ist es, der ein Jahr später beginnt, eine heute unter Denkmalschutz stehende, allen Mülheimern bekannte Siedlung unter dem Namen „Colonie Wiesche“ zu bauen. 1914 erhalten die beiden Straßen, nach denen die Siedlung heute bekannt ist, ihren Namen: Mausegatt und Kreftenscheer. Es sind die Namen alter Kohlenflöze. Insgesamt 106 Häuser entstehen und bieten den Arbeitern der Zeche Wiesche und ihren Familien eine Unterkunft. Die Kaue ist von zu Hause nur 10 Minuten entfernt. Ein idealer Standort. 1987 wird die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt. Auf der Homepage www.mausegatt.org erinnert sich Walter Schmidt an die Zeiten und das Leben dort:

„Da damals auch eine große Wohnungsnot herrschte, kam man seitens der Zeche auf die Idee, die Siedlung zu bauen. Durch die Vergabe von guten Wohnungen wollte man die Bergleute an die Zeche binden – wer kündigte, musste auch die Wohnung innerhalb von 3 Tagen räumen. Man wollte so vor allem auch den zweiten und weiteren Söhnen von Bauern und Köttern, die den väterlichen Hof nicht erben konnten, eine Wohnung mit Garten bieten. Auch die in den Ostgebieten und Polen angeworbenen Bergleute mussten mit Wohnraum versorgt werden.

Geboten wurde eine Haushälfte mit eigenem Eingang, 3 Zimmer, eine Waschküche, ein Stall und ein Abort. Der Abort war draußen hinter dem Stall. Ein Laubengang verhinderte, dass man auf dem Weg zum Abort nass wurde oder im Winter durch hohen Schnee laufen musste.

Zu der Haushälfte gehörte ein Garten, den die Bergleute bebauen konnten, denn der Lohn auf dem Pütt reichte nicht für eine große Familie. Weil die Siedlung mitten im Feld gebaut wurde, konnten die Arbeiter in der Nähe weiteres Land zupachten, um ihre Familien zu ernähren.

Zusätzlich zum Lohn bekam ein Bergmann Deputatkohlen, so war auch das Kochen und Heizen gesichert. Gekocht wurde auf dem Kohlenherd, der auch im Sommer ständig brannte.

Alle Wege erledigte man grundsätzlich zu Fuß, der Besitz eines Fahrrades war schon die Ausnahme. Der Weg zur Arbeit war von der Siedlung aus nicht weit, man erreichte die Zeche Wiesche zu Fuß in ca. 15 Minuten.

Kinder trugen in der Schule, die sich auf dem Priestershof befand, bessere Kleidung, die sie ausziehen mussten, wenn sie nach Hause kamen. Die meisten Kinder hatten nur ein Paar Schuhe, die nur sonntags oder zur Schule angezogen wurden. Zuhause trugen sie meistens Holzschuhe (Klotschen).

Die Familien der Bergleute badeten nur samstags, in einer Zinkwanne in der Waschküche. Dabei wurde nicht jedes mal komplett neues Wasser gemacht, sondern nur der Schmutz abgeschöpft und heißes Wasser aus dem Kessel auf dem Ofen nachgeschüttet. Die Männer duschten allerdings täglich nach der Arbeit auf der Zeche. Damals stellte man fest, dass Frauen von Bergleuten seltener Unterleibserkrankungen hatten als die übrige Bevölkerung. Man fand heraus, dass es daran lag, dass die Bergleute durch das tägliche Duschen viel reinlicher waren als der Rest der Bevölkerung.

Am Anfang waren die Straßen und die Höfe der Siedlung nur geschottert bzw. mit Kesselasche gestreut. Um 1910 wurden zwar Bürgersteige mit Natursteinkanten angelegt, die Straße und auch der Gehweg blieben jedoch weiterhin geschottert. Viktor Kaplanowski, der 1912 in Haus Nr. 12 geboren wurde und mit mir noch untertage gearbeitet hat, erzählte mir, dass das immer ein fürchterlicher Dreck war.

Im Winter 1899/1900 hatten die letzten Häuser immer noch keinen Wasseranschluss. Auf der Straße war eine Wasserleitung verlegt, zu der die Bewohner einen speziellen Schlüssel hatten, mit dem sie Wasser holen konnten.

Wenn die Bergleute von der Schicht kamen, dann führte ihr Weg auch an der Fuente vorbei, einer Gaststätte aus der Postkutschenzeit. Der Name Fuente ist französischen Ursprungs und bedeutet Tränke. Hier wurden die Pferde gewechselt und die Fahrgäste legten eine Pause ein. Auch die Bergleute legten auf dem Weg nach Hause in der Fuente eine Pause ein und gönnten sich ein oder zwei Schnäpse.“

Auszug aus: Das Leben in der Siedlung um 1900 von Walter Schmidt
Entnommen von der Homepage „www.mausegatt.org“

Mausegattsiedlung Kreftenscheer/ Ecke MausegattstrasseMausegattsiedlung Kreftenscheer/ Ecke Mausegattstrasse

Mit Stilllegung der Zeche Vereinigte Rosenblumendelle schließt sich das Kapitel Bergbau in Mülheim an der Ruhr - Der Weg für den Strukturwandel ist frei und Mülheim beginnt mit einem neuen Kapitel der Industriegeschichte.

Quellen: